103 Jahre „Zupfen, nicht rupfen!“ – Mandolinenclub Zeltingen-Rachtig feiert besonderes Jubiläum
Viele Musik- und Gesangsvereine haben den Zeitpunkt verpasst, sich und ihr Repertoire zu erneuern und haben das mit ihrer Existenz bezahlt. Anders der Mandolinenclub in Zeltingen-Rachtig. Weshalb das Zupforchester auch 103 Jahre nach seiner Gründung noch immer boomt.
Es ist 2020 und bis zum großen Festkonzert anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Vereins bleiben noch zehn Tage. Dann kommt die Pandemie und damit ein Lockdown, der gemeinsame Proben und Konzerte unmöglich macht. Zuerst ist die Enttäuschung groß. Doch dann greift ein Gedanke unter den Mitgliedern des Mandolinenclubs um sich: Jetzt erst recht.
Sie organisieren Online-Treffen und Freiluftproben mit reduzierter Mannschaft. Selbst der alljährliche Wandertag findet coronakonform statt. „Das gemeinsame Musizieren mit allen hat uns natürlich trotzdem gefehlt“, erzählt Sylvia Kappes, langjährige Geschäftsführerin des Mandolinenclubs. „Bei den Proben kann man einfach vom Alltag abschalten und wieder auftanken.“
Es sind dieser Gemeinschaftssinn der Mitgliederinnen und Mitglieder und der Mut zur Veränderung, die den Mandolinenclub Zeltingen-Rachtig mit Leben füllen. Jetzt, drei Jahre später, soll deshalb umso größer gefeiert werden.
Gegründet wurde der Verein 1920 aus der Wandervogelbewegung heraus, die sich von gesellschaftlichen Zwängen bei Wanderungen im Wald zu befreien versuchte. Schon damals geht es um das gemeinsame Miteinander und Musizieren, nachzulesen in der eigens für das Festkonzert verfassten Festschrift.
Dann kommen die Nationalsozialisten. Die Vereinsmitglieder wollen sich den Nazi-Zwängen nicht unterwerfen, gelten fortan als „nicht reichskonform“ und stellen 1935 vorübergehend ihre Arbeit ein.
Erst in den Fünfzigern geht es unter der Leitung von Frid Ehses weiter. Durch ihn gewinnt die Musik des Clubs an Niveau. Jeder Dirigent, der seitdem folgte, schaffte es seine eigenen Akzente zu setzen und dennoch den Geist des Clubs zu bewahren. Unter Martin Waxweiler wurden unter anderem neue Spieltechniken und Kompositionen mit lateinamerikanischen Rhythmen eingeführt.
Alfons Kappes, der seit 2012 den Dirigentenstab schwingt, arrangiert Musikstücke selbst für den Club und erweitert das Repertoire des Ensembles. Neben Klassik und Folklore gibt es nun auch Rock, Pop und Filmmusik.
Das kommt besonders beim Nachwuchs gut an. Anders als viele andere Musikvereine hat der Mandolinenclub damit den Sprung in die Moderne geschafft. Jungen Neuzugängen leiht der Verein Mandolinen, Mandolen und Gitarren für die musikalische Ausbildung. Die Jugendwarte organisieren regelmäßig Freizeitaktivitäten wie Schlittschuhlaufen, Klettern, gemeinsames Pizzabacken oder musikalische Workshops.
„Wir sind wie eine große Familie“, erzählt Sylvia Kappes. Und zwar eine Familie, die das große Festkonzert nach drei Jahren Verzögerung kaum noch erwarten kann. „Die Stimmung ist euphorisch, wir sind absolut motiviert,“ so Sylvia Kappes.
Die Besucherinnen und Besucher können sich auf die Habanera aus Carmen, ein Musical-Medley, Popsongs und vieles mehr freuen. Die letzten Proben laufen wie am Schnürchen und haut doch einmal jemand zu hart in die Saiten, dann weiß sich Dirigent Alfons Kappes zu helfen und es schallt laut durch den Raum: „Zupfen, nicht rupfen!“
Das Festkonzert war am 13. Mai 2023 um 19:30 Uhr, Kelterhaus Schorlemer in Zeltingen-Rachtig.
Mit dabei unter anderem die Sängerin Ingrid Wagner, die Flötistin Gerda Koppelkamm-Martini und Clemens Ehses am Xylophon.
Ein Text von Lena Bathge